Re: Hotti
von Hotti » 07.10.2024, 17:44
Schwanengesang
Die griechische Geschichte ist voller Mythologien und daraus sind unglaublich viele Gleichnisse vollzogen worden. So ist mir das Titelwort und die Begrifflichkeit zwar immer im Hinterstübchen vorhanden gewesen, aber Anwendung auf sich selbst bezogen gab es bisher nicht. Nun aber, gar nicht mal plötzlich, kam der Einfall, der Sache auf den Grund zu gehen. Schon der Wortklang lässt die Ahnung zu, sich mit etwas Traurigem zu beschäftigen. Und in der Tat, es ist ein Abschied, ein Abgesang auf das, was einmal war. Der Sage nach hieß es, dass Schwäne kurz vor ihrem Tod in einen traurigen Gesang verfallen, der besonders schön war. Und die daraus entstandene Wortschöpfung hat sich bis heute erhalten, wenn von etwas Abschied genommen wird.
In den nüchternen Alltag versetzt heißt das trotzdem, dass Abschied auch ein bisschen wie Sterben ist, denn nichts mehr von dem Ehemals wird dann noch da sein. Lediglich das Erinnern und das Gedenken wird es solange geben, wie es Zeitzeugen gibt oder es lohnt, etwas darüber mündlich oder schriftlich zu überliefern, um es vor dem Vergessen zu bewahren. Diese Dramaturgie soll bei mir lediglich als Geschichtenerzähler-Basis herhalten.
Vor genau 42 Jahren, nämlich 1981/82, wechselte ich das Revier. Vom Radsport zum Laufen. Zwar hatte ich mich bereits vorher als „Waldläufer“ von Fall zu Fall aufgetan, doch so richtig trainingsmäßiges Laufen war das nicht. Schon ab 1964 - nahm ich an dann jährlich folgend an bestimmt 15 -16 Crossläufen am Teufelsberg teil und in Tegel lief ich regelmäßig mit Kanuten und Ruderern Sonntag vormittags bei deren Ausgleichs- und Ergänzungssport, wie das damals hieß, mit. So ganz unbedarft war ich also nicht, als ich zur Leichtathletik, zum Langstreckenlauf mutierte.
Ein Kollege war es, Willi Rieck, leider schon verstorben, der mich einlud beim Training des damaligen Post SV mitzumachen. Der Startpunkt lag im Jagen 57 im Grunewald unweit des Auerbachtunnels, nachbarlich mit dem Helios-Verein. Zwischen 12 und 14 km betrug die waldige Rundstrecke. Natürlich war ich anfangs das Schlusslicht, aber nur drei/viermal, dann war ich dran. Und als ich hörte, dass das Training 2 – 3 pro Woche dem Marathon galt, war ich Feuer und Flamme. Nein, es war keine Midlife-Crisis, sondern die pure Lust, sich im „fortgeschrittenen“ Alter (42) zu beweisen, dass noch alles geht – auch Leistung.
1982: Erst Halbmarathon, dann die 25 km de Berlin und trotzdem, die helle Aufregung, der für mich 1. Marathon in Berlin. Bei knapp über 4 Stunden mit allen Anfangsfehlern, die man machen kann, war klar, im nächsten Jahr möglichst unter Vermeidung der Fehler erneut anzutreten. So setzte sich das Jahr für Jahr fort, bis ich im vierten Jahr den ersten Marathon unter 3 Stunden lief. Das war ein Hochgefühl, das lange anhielt. Inzwischen etablierte sich der Langlauf zum Lebensgefühl und wurde zur Unabdingbarkeit. Der Spruch „Langläufer leben auch nicht länger, sterben dafür aber gesünder“ klang irgendwie immer mit. So ergab sich zwangsläufig die gehäufte Teilnahme an Lauf-Wettbewerben zwischen 10 – 42,195 km und in einem Fall sogar die Ultra-Strecke Rennsteig mit 72 km. Überwiegend war es die Freude und Lust an der Bewegung und zudem das sich immer wieder einstellende Gefühl der Zufriedenheit, wenn ein Rennen vorbei war. Mein Credo hieß oft genug: Der Marathon ist dann am Allerschönsten, wenn er vorbei ist.
Die Jahre vergingen und das eigene Land, ja, selbst Europa erschien zu klein zu Fuß bewältigt zu werden. 1986: Der erste Auftritt in Amerika. Natürlich New York. Alles noch richtig teuer und doch genau richtig, die Stadt in dieser Zeit kennengelernt zu haben. Nr.2 dort lief 1989 ab. 1988 war Boston das Ziel, allein aus der Tatsache heraus, dass ich die Sollzeit von unter 3 Stunden für die Startvoraussetzung erfüllt hatte. Ein Erlebnis besonderer Art, die anderen Orts noch mehrfach entstand. Im Laufe der Zeit kamen etliche Distanzen im Lande hinzu und auch das europäische Ausland hielt neben touristischen Anreizen genügend Angebote bezüglich Marathon bereit. Zu jedem Besuch und Lauf habe ich ausführlich berichtet, deshalb an dieser Stelle noch einmal die Aufreihung aller Destinationen, die zur Marathon-„Sammelleidenschaft“ gehörten:
40 x Berlin, 4 x Leipzig, 3 x Hamburg, 3 x Oberelbe, 3 x Wien, 3 x Fürth, Je 2 x in Bonn, am Rennstreig (davon einmal Ultra), und New York und je 1 x in Bremen, Frankfurt/Main, Prag, Budapest, Barcelona, Paris, London, Kopenhagen, Stockholm, Tromsö (Mitternachtsmarathon), Boston, Lübeck und den privaten „Annalena-Marathon“ von Potsdam nach Berlin (Dank an Erdmute Nieke, der Initiatorin des wohl schönsten Laufes von allen!! Nur mit der Ausnahme des gefühlsmäßig am stärksten bewegenden Berlin-Marathons 1990!!! ). Macht in der Addition 75. Eine schöne Zahl, ebenso wie der 50. Berlin-Marathon als Gold-Jubiläum.
Damit ist ein Kapitel abgeschlossen, das nur für einen selbst zählt, denn es gab keine Rekorde, wohl aber immerhin 8-maliges Unterbieten der 3-er Schallmauer für Hobbyläufer, mehrere Altersklassensiege in verschiedenen Städten und in Berlin 2 x Silber + 2 x Bronze. Bei den bedeutend kürzeren Läufen (HM 21,095 und 25 km) sah ich wesentlich besser aus. Bestzeit: 2:54:08 (M), dagegen 1:21:32 (HM) und 1:36:54 (25 km). Die zig Landschaftsläufe (Tollense-See, Stienitz-See, 5-Seen-Lauf Schwerin, Spreewald, Plänterwald und weitere, dazu Radolfzell am Bodensee, Neustadt/Weinstraße und etliche Läufe dort in dieser wunderschönen Pfälzer Berglandschaft (Maikammer/Kalmit) während meiner 3-jährigen beruflichen Tätigkeit im Südwesten Deutschlands (Saarland/Pfalz/Baden- Württemberg).
Die Medaillensammlung hat eigentlich keine Bedeutung mehr. Wer, außer ich selbst, kann damit etwas anfangen? Alles Blech, das später irgendwo entsorgt wird. Es war lediglich nur für einen Moment von Belang, als einem nach Zielüberquerung eine „Ehrung“ widerfuhr. Die eigene Leistung richtig einzuschätzen, war mir viel bedeutsamer. Nicht die schnellstmöglich erreichten Ergebnisse waren die wichtigen, vielmehr jene, die unter Beeinträchtigungen, ja, unter Pein und besonderen Umständen zustande kamen. Es gab tolle Läufe, auch jene, die einen glücklich machten und es gab Läufe zum Vergessen (ein Beispiel: Stockholm, 02. Juni 2012, heftiger Sturm, 4° C und Starkregen von Anfang bis Ende und eine überproportional eingetretene Ausseigerquote von 40%. Ich selbst kam halb erfroren ins Ziel, wo es keine Duschen, geschweige denn auch nur einen Kälte- oder Regen-/Wärmeschutz gab. Einzig, die bandlose, fette Medaille hatte Charakter. Sie werde ich aufheben.
Es ist wie im Leben, nicht alles geht glatt, davon können wir alle ein Lied singen. Nun ist es wahrlich keine Eloge, die von mir über meine „Marathonzeit“ bekundet wird, vielmehr ein Erlebnisbericht mit emotionalem Bezug, der nun zu seinem Ende führt. Ich habe viel zu danken für die Zeit in läuferischer Gemeinschaft in meinem Berliner Verein Pro Sport Berlin (ehemals Postsportverein) und in besonderer Weise an Bernd Hübner und seiner unvergleichlichen Lebensleistung im Laufbereich.
Er war der Ideengeber für einen Laufwettbewerb mit der Bezeichnung „Berlins schönster Landschaftslauf – Havellauf“, zurecht, es gibt keine schönere Strecke! Bis zur 25. Ausgabe führte er diese Veranstaltung, dann übergab er den Stab an den Pro Sport Berlin, der ihn noch immer von Jahr zu Jahr weiterträgt. Ich selbst war nicht ganz unbeteiligt, denn 27 Mal durfte ich den Wettbewerb am Wannseer Löwen moderieren und diese Zeit bleibt in sehr guter Erinnerung. Und schließlich das „größte Ding von Hübi“ war und ist die Installation eines Lauftreffs, den er unbescheiden mit seinem Namen schmückte: Lauftreff Bernd Hübner (Mommsenstadion). Eine Institution, die unersetzbar bleibt. Allein „das Organ“ der gegenseitigen Kommunikation „Hübis-Laufforum“, für das ich seit Jahren Kolumnen geliefert habe, ist eine Plattform, auf der der Gemeinschaftssinn beim Laufen im Vordergrund steht. Diese Art und Weise des Miteinander beim Laufsport lag von Anfang in der Absicht von Hübi, dazu noch völlig unverpflichtend, kostenlos und eben nirgendwo anders als in dieser lockeren Form zu finden. Eine längere Hommage wäre angebracht, hat aber noch Zeit.
Ihr seht, es ist ein Rückblick, denn alles hat seine Zeit, und meine Zeit als Läufer ist nunmehr im wahrsten Sinne des Wortes abgelaufen. Sport zwar weiterhin (soweit die Füße tragen), aber alles äußerst moderat und mit Ausgleichs-/Herzsport.
Ich verbleibe mit einem netten Spruch: „Das Glück ist wie ein Autobus, auf den man lange warten muss. Und kommt er dann zu allerletzt, du steigst ein und bist entsetzt, weil alles schreit: Vollbesetzt.“ Garantiert keine Lebensmaxime oder Option, denn irgendwas geht noch immer, aber bitte nicht zu Kreuze kriechen oder sich bis zum Zahnfleischbluten zu kasteien. Das Leben ist wertvoll, obendrein schön und korrespondiert mit dem Wort E m p a t h i e. Wenn diese Eigenschaft stärker ins Bewusstsein rückt, dann ist viel gerettet, und zwar nicht nur das alleinige Seelenheil.
Horst