Re: Hotti
von Hotti » 27.12.2021, 23:51
Vorbescherung
Wenn am 24. Dezember der Weihnachtsmann, das Christkind oder niemand vor der Tür stehen, ist das nicht verwunderlich, sondern normal. Anders wäre es, die genannten Herrschaften kämen zu früh, zu spät oder gar nicht, na, aber hallo! Das geht wohl nicht. Bei Niemand ist`s eh wurscht, es kümmert nicht. Nun ist das Datum passè, die Aussicht auf Neues steht unmittelbar vor der Tür. Ehe das passiert, drückt mich dann doch die (fast) vergessene läuferische Chronik Stunden vor dem Fest.
Hier ist sie:
Es begab sich aber zu der Zeit……. keine 24 Stunden vor dem noch immer bewegenden Geburtsereignis von vor 2021 Jahren, dass eingedenk dieser Tatsache, Laufen genau das Richtige wäre, dies am 23. Dezember zu tun. Diesen Einfall hatten nicht viele. Leider nur fünf. Die anderen, verhindert, versäumt, vergessen (3 x V), brauchen nichts zu fürchten, die Laufpflicht findet keine Mehrheit. Jedoch, und jetzt komme ich zu einem echten Scharfmacher, wer die ausgedachte Tour an jenem bewussten Donnerstag (also am 23.12.) nicht mitgemacht hat, muss den gespannten Kindern oder Enkeln eingestehen, Märchenstunde nach der Bescherung fällt aus. Ist wohl logisch, wer nichts erlebt, wird kaum soviel Esprit versprühen, wie wenn begeisternde, züngelnde, ja, abenteuerliche Begebenheiten zu Geschichten geformt werden können. Drum will ich einmal der Märchenonkel sein:
Weltkulturerbe kennt wohl jeder. Zu einem, wenngleich viele Objekte gleichzeitig darin enthalten sind, führte die Spur. Es fing ganz harmlos an. Treffpunkt 9.30 Uhr, 500 m vor Schloss Glienicke auf der rechten und gleichzeitig 500 m vor dem Jagdschloss Glienicke auf der linken Fahrbahnseite der Königstraße von Berlin kommend und noch zu Berlin zählend. Nun soll niemand glauben, dies wäre ein Spaziergang, obwohl es gleich von Anfang an steigend zuging. Sagen wir, 700 m waren`s, da kam das erste Aaah. Loggia Alexandra. Dieser kleine Bau im Stil der florentinischen Frührenaissance mit herrlichem Blick in der Sichtachse zum Babelsberger Schloss und entfernter, verschleiert das Zentrum Potsdams, ist ein Kleinod und wenig bekannt. Die Fresken bräuchten Zeit zum Angucken. Die Loggia bildet die Spitze Böttcherbergs und deshalb kam nach Umrundung des kleinen Klinkergebäudes, das an der vorderen Seite mit Glastüren wohlverschlossen ist, ein bergab, rodelgeeignetes, wenn denn Schnee, Geläuf in Betracht, das richtig Spaß machte. Mit leichten Windungen verläuft der Pfad nach Klein-Glienicke, ein winziger Ort, schon zu Potsdam gehörig, stets jedoch abseits gelegen, wie noch heute.
Eine Schlüsselstellung gibt es: Die Park-Brücke am Auslauf des Griebnitzsees in die Havel, der sich Glienicker Lanke nennt. Wer hier drüber geht oder wie wir, läuft, erreicht ein Paradies. Der Garten des Schlosses Babelsberg. Zu DDR-Zeiten noch im Zustand der Agonie, kurz vor dem Zusammenbruch, erstrahlt heute nach langjähriger Restauration in derartiger Weise, dass ein MUSS eingeplant sein sollte, alles kennenzulernen. Wir aber, schnur-stracks unterwegs, wählten die Außenumrundung des Parks. Die am Rande des Parks liegenden zweckmäßig-hässlichen Uni-Bauten würdigten wir keines Blickes, denn das ansteigende und abfallende, weitläufige Gelände forderte vielmehr Aufmerksamkeit. Wir orientierten uns in Richtung HBf Potsdam, genau dorthin, wo der legendäre Annalena-Marathon Anfang Juni sein Startdebüt gab.
Der Lauf dorthin ist nicht mehr Park, aber langhin wasserwärts unter der Nuthe-Schnellstraße hindurch. In Sichtweite des Bahnhofs machten wir die Kehre und nun wieder rein in den Park. Da steht er nun, der fantastische Flatowturm, zwar noch nicht uralt (1853 – 56), wohl ein Aussichtsturm mit 46 m Höhe im Neugotischen Stil und nur zu repräsentativen genutztes Objekt, in Zeiten Kaiser Wilhelms I. Wer mal oben war, wird die Schönheit des Ausblicks nicht vergessen (im Winter geschlossen). Gleich gings weiter, wir liefen vorbei am Seemannsheim, sahen die Gerichtslaube. Zu beiden ließe sich viel sagen. Dann der „echte Garten“ mit Siegessäule, Marstall und kleinem Schloss, von Rosengarten und -laube ganz zu schweigen. Und nun „Grand Plaisir“ das Schloss selbst. In Neugotik ganz im englischen Tudorstil 1833 für den Kronprinzen und späteren Kaiser Wilhelm I. als Sommerresidenz erbaut, hat seine einmalige Gestaltung und Lage am Tiefen See, genau vis-á-vis der Glienicker Brücke, bis in die heutige Zeit bewahrt. Karl Friedrich Schinkel, das Universalgenie und sein Schüler Ludwig Persius, der Architekt der Sacrower Heilandskirche, sowie Johann Strack, die Architekten, lassen grüßen. Abschließend der Ausblick auf die Agentenbrücke. Das ist einfach grandios, dieses Postkartenidyll. Glatt könnte ich schwärmen vor lauter Verzückung, schon weil die fast jahrzehntelange, behutsame Sanierung und Restaurierung, ich möchte sagen, klassisches Erleben gebracht hat.
Das alles im Lauftempo, nur mit gelegentlichen Stopps. Abwärts ging es am Maschinenhaus vorbei zurück über die Brücke, heimlich von der Seite durch einen kleinen, offiziellen „Verschlag“ rein in den Pückler-Jagd-Schlosspark Glienicke. Den zu durchqueren kostet nur Minuten, nun unter der eben genannten Zugangsbrücke nach Potsdam hindurch bis zum Hirschtor (übrigens Wendepunkt beim Havellauf) am „richtigen“ Schloss Glienicke, das wir alle kennen. Doch wer weiß um die klassizistische Gartenkunst und wer kennt dieses Juwelstück der Potsdamer (obwohlauf Berliner Seite gelegen) Kulturlandschaft richtig? Ha, da fehlt`s - auch bei mir in Stücken.
Noch ein paar Schritte durch den Park am durchaus empfehlenswerten Schloss-Restaurant und Cafè vorbei bis zum Startpunkt am Wegweiser Loggia Alexandra. 12,5 km gehen schnell vorbei. Fünf Läuferinnen und Läufer wissen das.
Noch eine Weisheit zum Jahresausklang: Je mehr man weiß, umso mehr weiß man, dass man nichts weiß. Mir geht das ständig so.
Alles Gute zum Rüberrutschen 2021/2022 und, bitteschön, gesund bleiben!
Horst