Niemals Jubeln vor dem Ereignis
Wer kennt es nicht, dieses Wamsdrammeln und unbehagliche Gefühl von Vorahnung auf Kommendes. Über Lampenfieber, der simpelsten Form von Aufgeregtheit, habe ich mich bereits an anderer Stelle weitläufig ausgelassen. Nun aber wird es ernst. Nur noch 10 Tage, sprich, nicht einmal zwei Wochen bis zum Big Run, der nach dem Ausfall 2020 kein zweites Mal verschoben wird.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin, so jubeln die Fußballer sich dem Pokalendspielfieber entgegen. Wir dagegen nehmen am besagten Tage (26.09.21) höchstens die öffentl. Verkehrsmittel unentgeltlich in Anspruch (und abends dann nach „getaner Arbeit“ das Wahlergebnis zur Kenntnis), um bis zur Straße des 17. Juni mit vorheriger Kleiderablage an der John-Foster-Dulles-Allee zu kommen. Ist das passiert, wird alles viel ruhiger, obwohl rundherum die Vielzahl Gleichgesinnter, die dem 47.Berlin-Marathon entgegenstreben, fast das Grün im Tiergarten platttreten.
Wie immer ist dann das Vorgeplänkel für dieses sportliche Jahresereignis längst abgehakt. Die Rede ist von der Marathon-Messe in den Hallen des Ex-Flughafens Tempelhof, wo die Auserwählten des Berliner Laufes ihr Leibchen mit der Startnummer zieren können. Bestimmt gibt es wieder zusätzlich ein Armbändchen, das neben der Chipkennung unabdingbare Voraussetzung für den Zutritt in den Startbereich ist. Ha, fast vergessen: Maske, natürlich – bis zum Start, dann aber lockt die Freiheit, wobei die vorherig jedermann/frau auferlegten Vorgaben unbedingt einzuhalten sind.
Warum erzähle ich das an dieser Stelle in voller Breite? Zwei Jahre Wartezeit ist eine lange Zeit für einen vom Läufer*innen-Volk inständig geliebten Laufwettbewerb. An 731 vergangenen Tagen (der zusätzliche Schaltjahrtag 2020 ist dabei) ist unglaublich viel geschehen, so dass erneut Gegenwärtiges oft genug nicht mehr ganz frisch ist. Doch erst einmal sollte die Vorfreude Platz greifen und alles was danach passiert, ja, Herrschafts noch a mal, ist doch eh wurscht. Es kommt wie es kommt. Und trotzdem, wann ist der Berlin-Marathon am Allerschönsten? Genau - wenn er vorbei ist. So soll es mir (hoffentlich) ergehen.
Die 47. Auflage des Berlin-Marathons allein ist nicht denkwürdig, warten wir doch alle auf die 50., die goldene sozusagen, an die etliche Erwartungen geknüpft werden, wenn sicherlich einige leider, leider nicht in Erfüllung gehen werden, das ist schon gewiss. Es wird keinen (von den Damen gar nicht zu sprechen) geben, der tatsächlich an allen fünfzig Ereignissen in 51 JAHREN dabei war und das Ziel erreicht hat. Bis zum 36. Mal gab es den Mister Berlin- Marathon, Bernd Hübner, der es geschafft hatte, vom ersten bis eben zum 36. ununterbrochen zu starten und zu finishen. Das war sensationell. Mit Bitternis haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass es zwei weitere Starts von ihm gab, wo ihm der Körper Grenzen setzte und er bei km 15 (vernünftigerweise) ausstieg. Ausgerechnet er, der 104 Marathon-Wettbewerbe in aller Welt absolvierte, die 2 Std. 30 Min. knackte und trainingsmäßig bestimmt die Erdumrundung geschafft haben dürfte (wenn nicht sogar mehr), ist jetzt „nur“ noch Fun-Läufer, aber weiterhin der Inspirator unendlicher Initiativen im Laufgeschehen rund um „Lauftreff Bernd Hübner“. Diese Einblendung nur in aller Kürze, weil eine Chronologie verdienterweise ein bisschen mehr Aufwand erfordert, um nur angemessen das zu würdigen, was wir alle um ihn herum dem Lauf-Idol Hübi verdanken.
Inzwischen gibt es nur ein paar Wenige, die die 40. Teilnahme am Berlin-Marathon überschritten haben. Wilfried Köhnke heißt der Spitzenmann mit bisher 44 Teilnahmen und Zielquerungen. An zweiter Stelle liegt der Sieger des allerersten Laufes (1974), Günter Hallas, mit 42. Beide Berliner wollen auch 2021 am Start stehen. Da hinke ich quasi mit meiner bisher 36maligen Querung des Zielstriches eindeutig hinterher, aber der nunmehr 37. ist zugleich mein 70. Gesamtmarathon, der muss noch sein. Egal wie, Hauptsache in der Sollzeit ankommen, jedoch kein falscher Ehrgeiz, versprochen.
Insofern kommt die obige Schlagzeile nicht von ungefähr, obwohl doch ein siebziger Durchgang Anlass genug wäre, der Vorfreude zu verfallen. Denkste, nicht mit mir. Ich bin ohnehin nicht der Feieronkel und Lobhudelsammler. Das Understatement liegt mir eher. Nach getaner Arbeit eine Tüte Schlaf, danach einen Kaffee und ein Stück Kuchen, schon ist die Seligkeit wiederhergestellt. Am Folgetag das heilsame „Wundenlecken“ und alles ausschütten, was sich so in letzter Zeit an Kümmernissen angesammelt hat. Bei mir wenig, dafür - und für so manches mehr - bin ich dankbar. Alles Gute denjenigen, die mit bzw. vor mir in der Spur sind.
Horst